Ab dem 27. Mai ist Band 6 der Werkausgabe - Kahn, Knaben, schnelle Fahrt - lieferbar!
Mit Meine Dienstverweigerung - Politische und Ästhetische Schriften ist im im Februar zudem Band 12 von Christoph Geisers Werkausgabe erschienen.
Mehr Informationen finden Sie unter dem Reiter "Werkausgabe" auf dieser Website und in dieser Broschüre.
Audio-Beitrag zu Meine Dienstverweigerung - Politische und Ästhetische Schriften von Angela Gutzeit im Deutschlandfunk
Ausführlicher Audio-Beitrag zur Werkausgabe im Deutschlandfunk (23. 10. 2022).
Interview mit Christoph Geiser, Literaturblog aufklappen.com (19.3.2023).
Interview und Gespräch im Podcast der Universität Freiburg (03.07.2024)
Facebook Video Christoph Geiser liest aus Meine Dienstverweigerung (23. 10. 2024)
Facebook Video “50 Jahre Queerness, quer zu allem, auch quer zu Querness” Christoph Geiser spricht über Meine Dienstverweigerung (25. 10. 2024)
Christoph Geiser im Gespräch mit Daniel Rothenbühler „Ich bin absolut kein Gläubiger mehr“. In: Literatur und Kalter Krieg in der deutschsprachigen Schweiz, 2024, S. 319 - 329.
Kahn, Knaben, schnelle Fahrt - Lesung und Gespräch mit Christoph Geiser, Moderation: Stefan Zweifel
Mittwoch, 30. Oktober 2024, 19 Uhr
Queerbooks, Herrengasse 30, 3011 Bern
"Umwege, Auswege – Coda, für Roman", mit einem Text und einem Interview von Julian Reidy und Moritz Wagner
Viceversa 16 (2022) – Jahrbuch der Schweizer Literaturen zum Thema "Wildwege"
"Friedlos" – Text aus einem entstehenden Roman
Glitter 4 (2020) – zur Besprechung
Christoph Geiser gelangte mit seinen Familienromanen Grünsee und Brachland, die Heinrich Detering zum "schweizerischen Diptychon des 20. Jahrhunderts" adelte, schon in jungen Jahren zu internationaler Prominenz. Die beiden Romane bilden den Auftakt der auf dreizehn Bände angelegten Werkausgabe, die Geisers ein halbes Jahrhundert umspannendes Oeuvre mit kontextualisierenden Nachworten endlich wieder zugänglich machen wird.
In Geisers Werken findet ein lebenspraller, scharfsinniger und ungemein witziger poeta doctus aus der Position des homosexuellen Außenseiters und intellektuellen Grenzgängers sukzessive seine ganz eigene Sprache – und wird dabei doch immer wieder zum Chronisten wider Willen, der, durch die Linse beeindruckend vielfältiger Stoffe, einen schonungslosen Blick auf die politischen Zäsuren der letzten Jahrzehnte gewährt. Dabei erweist sich Geiser stets als ein Autor im Widerstand, dessen selbstironisch zugespitzte Obsessionen immer auch etwas über die Bruchlinien kollektiver Narrative verraten. Das gilt schon für die Anfänge um 1968: Hier wurde das Persönliche durch direkte Aktionen politisch – Inhaftierung wegen Militärdienstverweigerung! –, und noch Grünsee und Brachland sind als großangelegte Obduktion bürgerlicher Lebenslügen lesbar. Die AIDS-Krise der Achtzigerjahre markiert sodann die nächste Zeitenwende in Geisers Schaffen und Leben, die ihm die eigene "Geschichte" raubte.
Es folgen faszinierende fiktionalisierte Künstlerbiographien, die Hinwendung zum irrlichternd parlierenden Erzähler-Wir, das "Desaster" des Terrorjahrs 2001, aber auch Experimente mit True-Crime und eine urkomische Aufarbeitung der Epochenschwelle von 1989 in Die Vergrämung der Zauneidechsen. Und selbst in jüngster Zeit gerät er wieder in den Sog der Zeitgeschichte: Während sich Geiser mit Die Spur der Hasen anschickt, den autobiographischen Komplex "Rückkehr zur Herkunft" weiterzuführen, beginnt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine – und nutzt als Aufmarschgebiet Belarus, jene Gegend, aus der Geisers russischer Familienzweig stammt, dessen Geschichte nun erzählt werden soll.
Ab September 2022 erscheint im Secession Verlag die durch Julian Reidy und Moritz Wagner herausgegebene Werkausgabe von Christoph Geiser.
Die Ausgabe ist auf insgesamt 13 Bände angelegt. Den Auftakt bilden die Romane aus dem Zyklus "Rückkehr zur Herkunft". Es folgen daraufhin jeweils zwei weitere Bände pro Halbjahr. Einzelne Bände enthalten neue Texte des Autors oder Funde aus dem Archiv. Den Abschluss soll 2025 als Band 13 Geisers neuer Roman Die Spur der Hasen bilden. Jeder Band erscheint mit einem neuen, kontextualisierenden Nachwort.
Herbst 2022 (26. September 2022)
Bd. 1: Grünsee (mit einem Nachwort von Moritz Wagner)
Bd. 2: Brachland (mit einem Nachwort von Julian Reidy und Moritz Wagner)
Bd. 10: Schöne Bescherung. Kein Familienroman (mit einem Nachwort von Julian Reidy)
Frühjahr 2023 (27. Februar 2023)
Bd. 3: Wüstenfahrt (mit einem Nachwort von Heinrich Detering)
Bd. 4: Das geheime Fieber (mit einem Nachwort von Dominik Müller)
Herbst 2023
Bd. 5: Das Gefängnis der Wünsche (mit einem Nachwort von Stefan Zweifel)
Bd. 12: Meine Dienstverweigerung. Politische und ästhetische Schriften (mit einem Nachwort von Philipp Theisohn)
Frühjahr 2024
Bd. 6: Kahn, Knaben, schnelle Fahrt. Eine Fantasie (mit einem Nachwort von Katrin Hillgruber)
Bd. 7: Die Baumeister. Eine Fiktion (mit einem Nachwort von Wolfgang Pross)
Herbst 2024
Bd. 8: Über Wasser. Passagen (mit einem Nachwort von Rosmarie Zeller)
Bd. 9: Desaster (mit einem Nachwort von Sarah Pogoda)
Frühjahr 2025
Bd. 11: Die gesammelten Erzählungen
Bd. 13: Die Spur der Hasen
Herausgegeben von Moritz Wagner und Julian Reidy
Mit einem Nachwort von Moritz Wagner
Berlin: Secession Verlag, 2022
Erhältlich ab 26. September 2022 im Buchhandel
Der erlesenen Reihe der in Zeiten von Covid-19 wiederentdeckten Seuchenliteratur gilt es mit der Neuedition von Christoph Geisers Romandebüt Grünsee ein weiteres Werk der jüngeren Literaturgeschichte hinzuzufügen. Der erstmals 1978 publizierte Text markiert Geisers internationalen Durchbruch als Schriftsteller und bildet den Auftakt seines bei Leserschaft und Kritik gleichermassen gefeierten autobiographischen Schreibprojekts "Rückkehr zur Herkunft", das über vier Jahrzehnte nach Erscheinen nichts von seiner Faszinationskraft verloren hat. Vor der symbolträchtigen Kulisse des Matterhorns verwebt der jährlich zum Skifahren nach Zermatt zurückkehrende Erzähler auf einer dreitägigen Erinnerungsrecherche geschickt die subtile Rekonstruktion der die Schweiz erschütternden Typhus-Epidemie von Zermatt des Jahres 1963 mit der gleichzeitigen Dekonstruktion seiner nur scheinbar ‚heiligen‘ und von ganz anderen Erschütterungen heimgesuchten großbürgerlichen Familie. In der mithin gleich doppelten Verfallsgeschichte diagnostiziert Geiser vor der Folie der Typhus-Epidemie mit erzählerischer Souveränität die gleichsam schreiende Sprachlosigkeit als die eigentliche Familienkrankheit.
Um die hermeneutische Aufklärung von Tabus geht es Geiser, um die Attacke der “Familientradition des Schweigens und Aussparens”.
15.02.2023, Katrin Hillgruber, Der Tagesspiegel
Mit dem ersten Band der im Secession Verlag erschienenen und mit einem umfangreichen Nachwort versehenen Werkausgabe gilt es, einen bemerkenswerten Autor zu entdecken, dessen Sprache und Stilmittel in der Fülle der Neuerscheinungen eine wahre Bereicherung darstellen.
13.02.2023, Axel Vits, Kommbuch.com
Ein wunderbarer Einstieg in das Werk eines wunderbaren Schweizer Erzählers.
11.02.2023, Jascha Feldhaus, Aufklappen Literaturblog
Herausgegeben von Moritz Wagner und Julian Reidy
Mit einem Nachwort von Julian Reidy und Moritz Wagner
Berlin: Secession Verlag, 2022
Erhältlich ab 26. September 2022 im Buchhandel
In Brachland, 1980 erstveröffentlicht, knüpft Christoph Geiser nahtlos an das in Grünsee begonnene autobiographische Dekonstruktionsnarrativ an und rückt den "Zerfall der Familie" nun vollends in den Mittelpunkt, weshalb bald von den "Basler Buddenbrooks" die Rede war. Brachland kann mit Recht als einer der herausragenden Familienromane der Schweizer Literatur bezeichnet werden. Am schillernden Beispiel seiner baselbernischen Herkunftsgeschichte legt der Ich-Erzähler Stück für Stück die sowohl Heuchelei und Verdrängungsmentalität als in vielerlei Hinsicht auch Lieb- und Leblosigkeit kaschierende Fassadenhaftigkeit des Großbürgertums kompromisslos bloß. Geiser kommt dabei ohne die Geste der pathetischen, unversöhnlichen Abrechnung aus. Was für den Text einnimmt, sind gerade die minutiös gestalteten und bei aller Kritik an der schier einschnürenden Enge des bürgerlich-liberalen Elternhauses stets liebevollen Figurenzeichnungen sowie der melancholisch-reflektierte Ton. Brachland ist der große Roman einer kontinuierlichen Entfremdung und einer paradoxerweise geteilten Einsamkeit, der sprachlich gewandt von erstickendem innerfamiliärem Schweigen und insbesondere der schmerzhaften Nicht-Beziehung zwischen Vater und Sohn erzählt.
Geiser erlernt sein Erzählen in der Kälte, in der demütigen Distanz zur seelischen Erschütterung. [...] Das Existenzielle ist Geisers Größe, seine unwandelbare Währung. [...] Immer und ruhelos webt die Erinnerung in diesem Werk. Es nimmt einen mit. Man möchte es ganz wiederlesen. Bald kann man es.
09.01.2023, Philipp Theisohn, FAZ
Herausgegeben von Moritz Wagner und Julian Reidy
Mit einem Nachwort von Heinrich Detering
Berlin: Secession Verlag, 2023
Erhältlich ab 27. Februar 2023 im Buchhandel
Christoph Geisers Wüstenfahrt ist das eindringliche Erinnerungsdokument einer Liebesbeziehung zweier Männer, die am unauflöslichen Widerstreit von persönlichen Wünschen mit geltenden Konventionen zerbricht. Hier erzählt ein zum ewigen Versteckspiel gezwungenes, ein durch die Ächtung offen gelebter Homosexualität im Bundesbern der 1970er-Jahre stets existenziell bedrohtes Ich: "Töte mich – ich kann nicht mehr spielen." Wüstenfahrt handelt aber auch generell von den Ängsten des unerlösten Außenseiters – und von seinem Widerstand gegen die drohende Desintegration: "Ich kämpfte, deine Bilder in den Augenwinkeln, um meinen eigenen Zusammenhang."
Nach seinem in Deutschland und der Schweiz weithin gefeierten Debüt mit den beiden Familienromanen Grünsee (1978) und Brachland (1980) brach Geiser 1984 in seiner Wüstenfahrt aus der Schweizer Enge in die Weite Arizonas aus, löste sich vom Familienstoff und machte die Homosexualität zu seinem Thema.
Noch heute frappiert der Mut dieses unverschleierten journal intime, das den Geist der Neuen Subjektivität atmet und trotz seiner Radikalität nicht aufdringlich, sondern nachdenklich-präzise die Anamnese einer gescheiterten Beziehung vornimmt.
Christoph Geiser ist ein Pionier der queeren Schweizer Literatur.
15.02.2023, Timo Posselt, Die Zeit
Christoph Geisers dritter Roman erzählt eine einfache und abgrundtief traurige Liebesgeschichte. Und er erzählt zugleich von der Übergänglichkeit zwischen den Körpern, zwischen Menschen und Tieren und Dingen, Sprache und Empfindung, zwischen Bern und Babylon. Diese Übergänglichkeit ist eine Quelle des Unheimlichen, das in dieser Geschichte überall lauert, und zugleich eines Trostes, der aus den Begrenzungen des einsamen Ich hinausführt.
Heinrich Detering im Nachwort der vorliegenden Ausgabe
Herausgegeben von Moritz Wagner und Julian Reidy
Mit einem Nachwort von Dominik Müller
Berlin: Secession Verlag, 2023
Erhältlich ab 27. Februar 2023 im Buchhandel
Das Wechselspiel von Licht und Schatten, von Diesseitsfreude und religiöser Inbrunst, Gewalt und Erotik, Naturalismus und Theatralik macht das Werk des italienischen Barockmalers Michelangelo Merisi da Caravaggio einmalig. Höchst abwechslungsreiche Beschreibungen seiner Gemälde bilden das Rückgrat von Christoph Geisers 1987 erstmals veröffentlichtem Roman Das geheime Fieber.
Vor den Bildern steht ein moderner Betrachter, der ihnen nach Rom und nach Neapel nachreist, gleichermaßen verführt durch deren Meisterschaft und deren Jünglingsakte. Hinter den Bildern steht die schillernde Figur des Künstlers, dessen Leben in Schlüsselszenen vergegenwärtigt wird. Der Aufeinanderprall von Gegenwart und Geschichte, Wirklichkeit und Kunst, Sublimation und körperlichem Begehren treibt immer neue Überblendungen hervor, die der Virtuosität der barocken Malerei ein modernes literarisches Äquivalent entgegenstellen. Sachkundig und schonungslos wie kaum ein anderer Künstler- oder Kunstroman lässt Das geheime Fieber die glanzvollen und die dunklen, tabuisierten Seiten großer Malerei zur Geltung kommen. Neben die Auseinandersetzung des Autors mit dem eigenen Leben, der eigenen Zeit tritt hier diejenige mit historischen Figuren; damit beginnt eine neue, artistischere Phase in Christoph Geisers Schaffen.
Dass nun aber ein erheblicher Teil eines malerischen Gesamtwerks, Bild um Bild, literarisch verarbeitet wird, das macht Das geheime Fieber zu einer Ausnahmeerscheinung im Feld der malereiaffinen Literatur. (…) Ein Grund dafür liegt in der stupenden Vielfalt der Annäherungen an die Bilder, der Beschreibungs- und Evokationsverfahren, ein anderer in dem Vermögen, die existenzielle Betroffenheit glaubhaft machen zu können, der die Bilder bei ihrem Schöpfer entsprangen und die sie bei ihrem Betrachter auslösen. (…) Die Literatur lässt sich von der Malerei beflügeln, rückt ihr aber mit ihren eigenen Mitteln auch auf den Leib – eine andere Facette des Wettstreits der Künste.
Dominik Müller im Nachwort der vorliegenden Ausgabe
Herausgegeben von Moritz Wagner und Julian Reidy
Mit einem Nachwort von Stefan Zweifel
Berlin: Secession Verlag, 2023
Erhältlich ab 9. Oktober 2023 im Buchhandel
In einer kühnen Tiefenbohrung verbindet Christoph Geiser 1992 autobiografische Erfahrungen in Berlin mit historischen Figuren, in denen sich der innere Widerstreit seiner Wünsche spiegelt: Goethe und D.A.F. de Sade. In einem Ausbruch vulkanischer Fantasie lässt Geiser die beiden gegensätzlichen Geister auf dem Vesuv zusammenprallen.
Et in Arcadia ego: Diesen Traum des Bildungsbürgers, der auf Goethes Spuren durch Italien wandelt, hatte Sade nämlich in einen Alptraum verwandelt und die Klassik durch die Wiederkehr der orgiastischen Antike gesprengt. Im Zerrspiegel der Berliner Clubkultur verschmelzen die Gegensätze nun wie die taumelnden tanzenden Körper. Doch nicht nur die Körperglieder, auch die Satzglieder werden im Zug der erotischen Entgrenzung entfesselt und entführen uns in einen exzessiven Sprachrausch, wo die Sprache selbst sinnlich wird: Dank ihr entkommt man dem Kerker der Wünsche.
Audio-Beitrag zu Das Gefängnis der Wünsche von Lothar Müller im Deutschlandfunk
Herausgegeben von Moritz Wagner und Julian Reidy
Mit einem Nachwort von Katrin Hillgruber
Berlin: Secession Verlag, 2024
Bd. 6 der Werkausgabe
Erhältlich ab 27. Mai 2024 im Buchhandel
Nach den spektakulären Ausflügen der Vorgängerromane in die Bilderwelten Caravaggios und de Sades kehrt Christoph Geiser 1995 zu seinem autobiographischen Stoff zurück und schreibt mit Kahn, Knaben schnelle Fahrt seinen Comingof-Age-Roman, seine ganz persönliche “éducation sentimentale”. In der neuen Wohnung der Mutter, einem Zuhause, das nicht mehr das seine ist, begegnet der Erzähler sich selbst als Kind: der Fotografie eines 14-Jährigen mit großen, abstehenden Ohren und störrisch verstörtem Blick. Wie es zu diesem Portrait gekommen ist, weiß er nicht mehr. Aber er erinnert sich an den Jungen, der er damals war: ein hilfloser Außenseiter mit philosophischen Neigungen und sexuellen Nöten, ein Kind mit der fixen Idee, in ein Kloster einzutreten, um der Familie zuentkommen. Diese Reise ins Kloster, wohin ihn der Vater schließlich widerwillig fuhr, wird zum Angel- und Wendepunkt der Geschichte. Aus dem Abstand von dreißig Jahren wiederholt der Erzähler jene Reise, begleitet sein Alter Ego nocheinmal ins Kloster und erfindet dem Kind, das er war, eine neue Biographie. Mit zärtlicher Ironie versucht er, die Verschlossenheit des Knaben aufzubrechen, ihm Mentor und Mephisto zu sein, der ihn wegführt von den Müttern und spielerisch einführt in Sexualität und Erotik.
Herausgegeben von Moritz Wagner und Julian Reidy
Mit einem Nachwort von Julian Reidy
Berlin: Secession Verlag, 2022
Erhältlich ab 26. September 2022 im Buchhandel
Mitten im Boom der Erinnerungsliteratur und Familienromane erschien 2013 ein Buch mit einem aufsehenerregenden Untertitel: “Kein Familienroman”, deklariert Christoph Geiser auf dem Cover von Schöne Bescherung. Gesetzt wird diese Lektüreanweisung ausgerechnet von jenem Autor, der mit seinen frühen Werken Grünsee (1978) und Brachland (1980) die wichtigsten Familienromane der jüngeren Schweizer Literatur schuf. In der Tat findet Geiser in Schöne Bescherung zu einem neuartigen erzählerischen Umgang mit Erinnerung, mit der eigenen Herkunftsidentität und vor allem der eigenen Endlichkeit. Der Erzählfluss, in der Wir-Form gehalten und in einem intellektuellen und darum nicht minder witzigen Parlando dahinplätschernd, beginnt mit dem Krebstod der Mutter, durch den die alternde Erzählinstanz "von Beruf Erbe" wird. Geplagt von eigenen Gebresten und selbstzweiflerischem Hadern mit der Schriftstellertätigkeit, ergeht sich dieser bald lustvoll flanierende, bald vom als ‚Monsieur Lamort‘ personifizierten Tod gehetzte Erzähler in Reflexionen über Ästhetik, Sex und Tod, die nie selbstverliebt oder selbstquälerisch anmuten, sondern stets beeindruckend-blitzlichthafte Einblicke eröffnen.
Christoph Geiser verarbeitet in seinen Büchern auf faszinierende Weise, die eigenen Obsessionen, sexuellen Neigungen und Verletzungen literarisch. Zu bewundern ist sein Mut und seine Radikalität, damals zumindest wider den Zeitgeist zu schreiben, rücksichtslos gegen sich selbst. Aber da ist noch mehr: Indem er dieses Sprechen ästhetisch äußerst wandlungsfähig einbindet in ein weitgespanntes Netz geschichtlicher wie gesellschaftlicher Korrespondenzen und literarischer Kommunikation mit Autoren und Autorinnen, Künstlern und Philosophen, bietet er seiner Leserschaft Anknüpfungspunkte für freies Denken und Fühlen [ ]… Ein gelungener Auftakt und eine lohnenswerte Lektüre!
23.10.2022, Angela Gutzeit, Deutschlandfunk
Herausgegeben von Moritz Wagner und Julian Reidy
Mit einem Nachwort von Philipp Theisohn
Berlin: Secession Verlag, 2024
Erhältlich ab 19. Februar 2024 im Buchhandel
Band 12 der Werkausgabe führt zwei grundsätzliche Dispositionen des Schriftstellers und Intellektuellen Christoph Geiser erstmals in einer umfassenden Auswahl zusammen: die des homo politicus, der früh als rebellischer linker Autor eine littérature engagée verficht und im Epochenjahr 1968 debütiert, sich in seiner frühen Prosa und Lyrik in der Tradition Bertolt Brechts sieht, für die kommunistische Parteizeitschrift Vorwärts als Kulturredakteur tätig ist und infolge seiner Militärdienstverweigerung 1970 drei Monate ins Gefängnis geht – und die des poeta doctus mit persönlicher “Ästhetik des Widerstands”, Schöpfer eines beeindruckenden, mehr als fünf Jahrzehnte umfassenden Erzählwerks und einer Vielzahl programmatischer Reden und poetologischer Schriften. Diese zeichnen entlang diverser politischer und gesellschaftlicher Zäsuren den Weg “vom Promeneur zum Parleur” nach, beleuchten Geisers Position als Außenseiter und Grenzgänger oder reflektieren seine Faszination für das Museum und die bildende Kunst.
Dem radikalen Postulat seiner Lions-Preisrede von 1983 ist der Wahl-Berner und -Berliner dabei bis heute treu geblieben: “Sprechen aber heißt in jedem Falle Grenzen verletzen, Mauern einrennen, Angst überwinden. Immer stärker spüre ich, dass mein eigentliches Thema der Vorgang dieser Grenzverletzungen oder [...] des permanenten Tabubruchs ist.”
Der Band versammelt Geisers wichtigste politische Schriften und Schweiz-Texte, seine ästhetischen Schriften und Reden, sowie eine Auswahl an Rezensionen, Miszellen und Interviews.
Audio-Beitrag zu Meine Dienstverweigerung - Politische und Ästhetische Schriften von Angela Gutzeit im Deutschlandfunk
Lyrik & Prosa
Zürich: Regenbogen-Reihe, 1968
In einem Reisebüro Fahrkarten kaufen
Einen Mann treffen
Der morgen stirbt
Neben den Paaren sitzen
die sich lieben
Und schweigend freundliche Gesicher
Lachen sehn
Schnell den Zug besteigen
Und die Türen schliessen
Bessere Zeiten, S. 12
Lyrik
Basel: Lenos Verlag, 1971
Einer der Dienstverweigerer, die "friedlich in ihren Zellen meditieren", ist Christoph Geiser, 1949 geboren, zu dreimonatiger Haft verurteilt. Während der Haft hat er Gedichte aus den Jahren 1967 bis 1970 zu einem Band vereinigt, dem er den Titel Mitteilung an Mitgefangene. Für die Insassen der Strafanstalt Oberschöngrün Solothurn gegeben hat. Die letzten Gedichte – "In der Zelle" – sind während der Haft entstanden, aber das ist – anders als man vermuten möchte – keine Politlyrik; es sind traurige Lieder eines erstaunlich sanften Naturells, in dessen Gedichten von Träumen, von Regen, Tod und Nacht die Rede ist und dem so eindrücklliche Texte wie dieser gelingen:
kein morgen
kein wind
keine krähen
in den ästen
wartet laub
den mond
vergass ich
zwischen den gittern wächst
frost
die steine waren noch warm
als ich starb
Zuger Tagblatt, 2. Juni 1971
Erzählungen
Basel: Lenos Verlag, 1972
Die Lage ist unübersichtlich geworden. Geiser versagt sich davor die Erleichterung poetischer Kürze. Seine Gedichte wachsen sich hier, von Satz zu Satz nachprüfbar, zu Prosa aus. Sie erweitern ihren früheren Gegenstandsbereich – Hunde, Busse, Fensterkreuze, Flussläufe – weniger, als dass sie ihn vergrössern, durch ein Verfahren, das an Zeitlupe erinnert und die Unerbittlichkeit des Dabei- und Daranbleibens belegt.
Adolf Muschg
Lyrik & Prosa
Basel: Lenos Verlag, 1974
gesellschaftspiel
zum umfallen komisch
seid ihr alle
vom besten wein
statt zyankali
gebt ihr euch
die hand
offen
zeigt die zähne
lächeln bitte
wenn er abdrückt
seid ihr alle
im bild
lacht jeder
krokodilstränen und
tut weh
Warnung für Tiefflieger, S. 63
Erzählung, mit sechs Illustrationen von Erich Münch
Basel: Lenos Verlag, 1975
Erhältlich im Buchhandel oder bei Lenos
Geiser erzählt die Geschichte der vollkommen durchorganisierten Reise eines jungen Mannes. Ankunft und Aufenthalt werden als der Versuch einer Befreiung von sich selbst beschrieben. Der junge Reisende versucht, durch die Veränderung der äusseren Einflüsse das Verhältnis zu sich selbst zu ändern. Aber diese organisierte Selbstbefreiung endet unerwartet planlos.Durch die thematische Vielschichtigkeit und die zwanghafte Genauigkeit der Sprache gelingt es dem Autor, den Leser bis zum überraschenden Ende zu fesseln.
Helvetische Typographie, 16. Juni 1976
Roman
Zürich und Köln: Benziger Verlag 1978
Neue Auflage beim Ammann Verlag, 2006
Grünsee beginnt harmlos mit einer Reise nach Zermatt – und verliert die schöne Ausgeglichenheit bald. Der Reisende, ein Schriftsteller, der über die Jahre zurückliegende Typhusepidemie im renommierten Wintersportort recherchieren will, recherchiert schliesslich über die eigene Familie und sich selbst. Was er dabei aus dem halbvergessenen, mehr verdrängten Untergrund hervorholt und rückblickend zusammensetzt, versetzt ihm Schocks, die sich der Mitwelt gar nicht mitteilen. Der Ich-Erzähler ist von Anfang bis Ende allein, obwohl Leute ihn umgeben, die ihn eigentlich kennen sollten. Aber kann man einen ohnehin Einsamen kennenlernen? Will er es überhaupt, ist die Furcht vor den andern, auch den Nächsten, nicht zu gross? Die Furcht zurückgewiesen zu werden?
Alain Claude Sulzer, Basler AZ, 20. April 1978
Roman
Zürich und Köln: Benziger Verlag, 1980
Neue Auflage beim Ammann Verlag, 2006
In der Mittagshitze im Schwimmbad am Fluss liegend, allein zwischen Tausenden, an seinem 29. Geburtstag, den er längst nicht mehr feiern mag, hält der Erzähler zum erstenmal in seinem Leben einen Brief seines Vaters in der Hand. Der Vater schreibt von seinem Garten, vom Haus, das er sich nach seiner Pensionierung gekauft hat und das eigentlich viel zu gross sei für ihn allein, und er lädt den Sohn ein: "Du kannst bleiben, solange du willst." Wochen später folgt der Sohn der Einladung. Er macht im Elternhaus Station, trifft nur die alte Haushälterin an: die Mutter ist unterwegs, geht ganz in ihrer karitativen Arbeit auf, der Bruder berufstätig und von seinen Hobbies in Anspruch genommen, der Vater lebt in seinem Haus auf dem Land.
Von Vereinzelung und Gefühlsarmut erzählt dieser Roman, von Verlust von Gemeinschaft, von Isolation als Krankheit der Familie. Dazwischen steht der Erzähler. Mit dem Vater verbindet ihn die Sehnsucht, aus der Isolation herauszutreten, aber auch die Ungeübtheit darin, Gefühle zu zeigen. So endet, was ein später Versöhnungsversuch hätte sein können, in Sprachlosigkeit: "Es gibt nichts, was wir uns jetzt noch sagen sollten, einander am Esstisch gegenüber, jeder besorgt, keinen Fehler zu machen."
Die Sprache ist sensibel und klar, die Stimmungen und Landschaften sind bei aller Diskretion der Beschreibung genau eingefangen. Seine Bedeutung zeigt dieser Roman jedoch, wenn man hinter den Bildern die Sinnbilder sucht.
Vorgeschichten, mit fünf Illustrationen von Erich Münch
Basel: Lenos Verlag, 1982
Sie war, erzählt sie selber und erzählen alle, die sie damals gekannt hatten, ein sportliches Kind. Im Dorf, wo sie aufgewachsen ist, gründete sie den einzigen Fussballclub; sie lief, kaum konnte sie gehen, Ski und schwamm, noch nicht achtjährig, bei 10 Grad Wassertemperatur im offenen Fluss; sie spielte Eishockey, Handball, sie tanzte, nicht nur auf dem Eis; Alpenflüge, als es noch Flugpioniere gab, machten ihr Spass; mit sechzehn – ihr Rekord ist inzwischen, dank dem Fortschritt der Ausrüstungstechnik, gebrochen – war sie die jüngste Bergsteigerin auf dem Gipfel des Matterhorns.
Er musste, weil Verdacht auf ein angeborenes Nierenleiden bestand (ein Verdacht, der sich später allerdings nicht bestätigte), als Sohn eines Arztes mit professioneller Vorsicht, vorbeugend behandelt, viel liegen...
Disziplinen, S. 32
Roman
Zürich und Frauenfeld: Verlag Nagel & Kimche, 1984
Wüstenfahrt erzählt die Geschichte der Beziehung zwischen einem Mann (der dem Autor in vielem sehr ähnlich ist) und dessen um etliche Jahre älteren, verheirateten Freund. Es ist eine private Geschichte, intimer und gefühlsnäher als die Romane Grünsee und Brachland. Mit grosser Genauigkeit schildert sie das Entstehen von Nähe und Intimität, dann die allmähliche Entfremdung mit ihren Gefühlen der Enttäuschung, Eifersucht und Irritation. Geiser hat sich vom Stoff seiner Kindheit, der Milieuschilderung des heimatlichen Bürgertums, gelöst, um den Schritt zu wagen, ein nach wie vor heikles Thema aus subjektiver Perspektive schreibend zu bewältigen.
Luzerner Neuste Nachrichten, 6. Dezember 1984
Roman
Zürich und Frauenfeld: Verlag Nagel & Kimche, 1987
Das geheime Fieber ist kein leicht zu lesender Roman, aber ein ungemein packender, wenn man sich diesem Wechselbad von Zurückhalten und Loslassen nicht widersetzt. Geiser kämpft, hat Angst vor dem, was ihn fasziniert, ist fasziniert von seiner Angst. ...
Man hat sich verführen lassen, hinüberführen, überführen. Die gegenseitige Durchdringung der verschiedenen Realitätsebenen macht die Schönheit dieses Romans aus: ein Christoph-Geiser-Buch, ein Caravaggio-Buch, ein Rom-Buch – das Buch seines Lesers. Geisers Sprache lässt es zu. Denn sie zerrt die Dinge aus dem "Nachtraum" ins Rampenlicht der Gleichzeitigkeit. Sie ist mal exhibitionistisch, mal voyeuristisch, dann wieder still und spricht fast nur noch in Auslasssungen. Geisers Sprache ist wie das Licht auf Caravaggios Bildern. Genial ist, was er so in ihnen sieht, kongenial jedoch, wie es dann wieder Sprache wird.
Samuel Moser, Süddeutsche Zeitung, 12. November 1987
Roman
Zürich und Frauenfeld: Verlag Nagel & Kimche, 1992
Das Literarische Quartett vom 19. November 1992 über Das Gefängnis der Wünsche.
Dass der Autor für dieses neue Buch im literarischen, biographischen, historischen Umfeld seiner beiden Protagonisten – Marquis de Sade und Goethe – eingehend recherchiert hat, ist eines und macht die Anschaulichkeit und authentische Präsenz seines Textes aus, ein anderes aber und das eigentlich Imponierende, wie das Rechierte seine Sache und ganz und gar Literatur geworden ist. ...
Kopfkino: Inszeniert – und das ist die glückliche perspektivische Erfindung – von einem dramatisch sprechenden und nur in diesem Sprechen auf intensivste Weise anwesenden Ich, das in einem permanenten antwortlos monologisierenden Dialog mit den Protagonisten steht. Nicht festzulegen in seiner nervös einfühlenden, voyeuristisch-obszönen, eindringlich-zudringlichen und wieder höhnisch wegzuckenden, vorsichtig fragenden, behutsam-fürsorglichen, ironisch-distanzierten Annäherung. Mit diesem Sprecher-Ich, seiner temporeichen, kunstvoll fragmentierten Sprache, gewinnt der Text eine fesselnde Unmittelbarkeit und fast bühnenhafte Präsenz. Und wenn er auf der einen Seite monoman gefangen wirkt, ist er auf der andern doch wunderbar lebendig: nirgendwo mechanische Kälte, überall die Wärme leidenschaftlich-obsessiver Auseinandersetzung.
Elisabeth Binder, Neue Zürcher Zeitung, 1992
Erzählungen, mit vier Zeichnungen von Hannes Steinert
Hamburg: Männerschwarmskript Verlag, 1993
Erhältlich im Buchhandel oder bei Männerschwarm
Das Buch kreist um erwünschte Angst, die Angst des Schwachen als Wunschkost des Starken: "Schon immer, musst du wissen, hatte ich Angst - Angst vor den Männern, den wortkargen Vätern, den Lehrern, ihrer Macht, ihrem Wissen ... ich... ein ängstliches Kind, aufgezogen von arglosen, sanften Frauen." So beginnt die Titelerzählung, zweifellos das Meisterstück dieser Sammlung, die sich aufschwingt zu einer Arie der Verzückung aus Angst vor demütigender Überwältigung durch eine nicht näher gekennzeichnete Männerfigur. ...
Ein "Glasperlenspiel mit schwarzen Seelen" nannte Thomas Mann seinen Doktor Faustus, als er ihn dem befreundeten Hermann Hesse widmete. Ein grausam geschwärztes Pendant zu Thomas Mann und seiner Helden ironischem Lechzen nach den "Wonnen der Gewöhnlichkeit" ist auch Christoph Geisers Wunschangst. In ihren besten Momenten steht diese Prosa derjenigen des Erfinders kompliziert liebender Bürger nicht nach. Nur von der erlösten Heiterkeit des Mannschen Alterswerks findet sich keine Spur.
Tilman Krause, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. März 1994
Eine Fantasie
Zürich und Frauenfeld: Verlag Nagel & Kimche, 1995
Der zufällige Blick auf ein Photo, das einen verloren wirkenden Vierzehnjährigen im Pyjama zeigt, hat bei dem Schweizer Autor Christoph Geiser eine ungeahnte sprachliche Emanation zur Folge. Mit der Frage, was denn dem Knaben zugestossen sei, lockt der mehr oder weniger autobiographische Erzähler aus dem Abstand mancher Jahrzehnte die einstigen Wünsche, Irrungen, Verzweiflungen noch einmal an, um sie in eine "Fantasie" zu giessen. Im imaginären Dialog mit dem Jungen, der er war, gelingt es dem reisenden Schriftsteller, als er in der neuen Wohnung der Mutter Station macht, sich die eigenen Erinnerungen wiederzuerwerben, und was das Wichtigste ist: eine authentische Ausdrucksform für sie zu finden.
Kathrin Hillgruber, Süddeutsche Zeitung, 21./22. Oktober 1995
Eine Fiktion
Zürich und Frauenfeld: Verlag Nagel & Kimche, 1998
Der Roman vollzieht an sich selbst, wovon er handelt, und zelebriert fortwährend die Selbstauflösung: er beschreibt nichts als Ruinen und ist selbst eine gigantische Ruine. Christoph Geiser breitet eine imaginäre Trümmerlandschaft vor den Lesern aus, die unablässig und pedantisch immer nur vom Scheitern erzählt – und zuletzt, wie könnte es anders sein, selber scheitert. Allerdings: es ist ein – ungeachtet aller Theatralik – grandioses Scheitern. Noch selten ist ein Autor so bewusst, mit so viel Berechnung ins Verderben gerannt – und hat doch der Sprache mehr abgerungen als mancher, der uns eine hübsche Geschichte zu erzählen weiss, die sich mühelos in ein paar Sätzen zusammenfassen liesse.
Roman Bucheli, Neue Zürcher Zeitung, 1998
Passagen
Zürich: Ammann Verlag, 2003
Erhältlich im Buchhandel oder hier
Auch wenn Christoph Geiser auf Reisen war, so ist doch der Bericht seines Erzählers auf gekonnte Weise eine Fortführung der Auseinandersetzung mit seinem Grundstoff – leitmotivisch umkreist der Erzähler die Spannung zwischen "Wahrheit" und Fiktion. Mag für ihn Ersteres auch per se inexistent sein, so gründet sein Existenzwille, seine Existenzberechtigung als Künstler auf der Fiktion, die es bis zur Verzweiflung mit allem Übermut zu verteidigen gilt.
Doch gerade dieser Übermut ist Christoph Geisers Schreiben noch nie so gut bekommen wie in Über Wasser. Als Passant kann sich der Erzähler seinen Gedanken-, Assoziations- und Spracheskapaden überlassen. Mit geradezu enthusiastischer Voreingenommenheit begegnet er dem Fremden und anderen im Unterwegs. Umso mehr erregt sich die Rede an der Selbstironie, am Witz und am Sprachspiel. Im Heterogenen und Sprunghaften zeigt sich: Christoph Geiser hat seine ganz eigenständige Schreibweise, seine sprachliche Musikalität, seine Rhythmisierung und artistische Sprunghaftigkeit weiterentwickelt und deren Nebenwirkung, das zum Teil Zwanghafte, überspannt Artifizielle, weitgehend zurückgelassen.
Sibylle Birrer, Neue Zürcher Zeitung, 28. Januar 2004
Rezension von Detlef Grumbach für Deutschlandradio Kultur, 1. Oktober 2003
Zwei Romane
Zürich: Ammann Verlag, 2006
Mit einem Nachwort von Heinrich Detering und CD-ROM zu den Werkmaterialien
Wer sich diesem "beunruhigend sanften Erzählen" (Detering) ganz überlässt, der kann bei Christoph Geiser zuverlässig ein Literaturwunder mit Nachwirkungen erleben.
Katrin Hillgruber, Der Tagesspiegel, 5. März 2006.
Nun gibt der Ammann Verlag die gefeierten ersten beiden Romane von Christoph Geiser neu heraus. "Je länger man jemanden nicht gesehen hat", schreibt Geiser, "um so neugieriger ist man darauf, ob er gealtert hat." Dies gilt auch für Texte; doch Geisers Romane sind in ihrer Wirkung nicht der berühmten Halbwertszeit zum Opfer gefallen. Im Gegenteil.
Sonja Osterwalder im bazkulturmagazin, 23. Februar 2006
Selten ist eine Bilanz des eigenen Herkommens so unaufgeregt, so wenig egoman dahergekommen. Es sind zwei Bücher, die in ihrer Frische nichts verloren haben. Im Gegenteil, heute gelesen, will sagen "nach den Utopien", bezeugen sie erst ganz die kunstvolle Kunstlosigkeit dieses Erzählers, der zweifellos zu den sorgfältigsten gehört, den die Schweizer Literatur zu bieten hat.
Tilman Krause im Tages-Anzeiger, 24. Mai 2006
Bei aller Verwicklung gelingt es Christoph Geiser auf höchst eigentümliche Weise, das Private mit dem Zeitgeschichtlichen zu verbinden. Wenn er in Brachland wie nebenbei das Leben seines Grossvaters skizziert. lässt er für einen Moment die ganze NS-Vergangenheit der Schweiz aufscheinen, mit all den verdrängten Geschichten zwischen Kollaboration und Widerstand.
Nico Bleutge in der Süddeutschen Zeitung, 22. Juni 2006
Rezension von Sabine Doering in der Frankfurter Allgemeinen, 1. Juni 2006
CD-ROM zu Christoph Geisers Grünsee und Brachland
Rückkehr zur Herkunft: Archivmaterialien zu Christoph Geisers Romanen Grünsee und Brachland, zusammengestellt und kommentiert von Michael Schläfli
Eine CD-ROM des Schweizerischen Literaturarchivs (SLA) der Schweizerischen Landesbibliothek (SLB)
Die CD-ROM zu Christoph Geisers Grünsee und Brachland dokumentiert die Entstehungsgeschichte der beiden Romane. In multimedialer Darstellung werden exemplarisch ausgewählte Archivmaterialien wie Notizen, Konzepte, Recherchematerialien und Typoskripte präsentiert, die einen aufschlussreichen Einblick in die Schaffensweise des Autors gewähren.
Ein Regelverstoss
Zürich: Ammann Verlag, 2008
Erhältlich im Buchhandel oder hier
Was geschieht, wenn nichts geschieht? Eingekreist von den Büchern seiner Bibliothek, versucht der Erzähler, seine schriftstellerische Existenz zu rechtfertigen. Doch kapituliert er angesichts seiner versandenden Geschichten in jenem Sommer, den die Terroranschläge vom 11. September abrupt beenden. Dieses Ereignis lässt ihn, den ehemals politisch Engagierten, erotisch Gestrandeten, ästhetisch Gegenläufigen, in die Desaster unseres Zeitalters und seiner eigenen Vergangenheit abtauchen. Der Ort all seiner Utopien ist Berlin zu jener Zeit, als ihm die Liebe plötzlich leicht schien, aber auch schon wieder vom Tode bedroht, als der langsame Abschied von der Idee eines existenzfähigen Sozialismus begann und damit die Einbunkerung in sich selbst.
Nach Die Baumeister und Über Wasser ist Wenn der Mann im Mond erwacht der dritte Band einer Trilogie des Scheiterns. Ein Text, der das Ende aller gesellschaftspolitischen Relevanz von Literatur reflektiert, ein Buch der Einsamkeit, der Einsamkeit dessen, der nicht mehr eingreifen und teilhaben kann, als wäre er auf dem Mond gelandet, auf Distanz gehalten von unsichtbaren Kräften und zum Zuschauen verdammt.
Michael Schläfli
Geiser nimmt seine Leser auch mit auf eine rasante Achter- oder Geisterbahnfahrt. Er führt – geistvoll und geistreich, gelegentlich kalauernd, oft abgründig, immer erzgescheit, gelegentlich locker parlierend, dann wieder fast fiebrig und immer die Leser direkt mit einbeziehend – in Museen, in Bücher, sogar noch vor den Fernseher.
Charles Cornu, Der Bund, 12. August 2008
Geisers Worte fliegen an, aber nicht in den Himmel, und auch seine Gedanken bleiben unten, am Schreibtisch der Erregung. Er ist "der Ort aller Lust". Hier "besteht" der Dichter "als Nachdenklicher". Er weiss: Kein Regelverstoss am Himmel kann den seinigen rechtfertigen. Im Gegenteil: Er stürzt auch diesen noch in den Abgrund und macht den Abstand zwischen Himmel und Erde nur noch deutlicher. Aber es ist dieser Abgrund, aus dem der Schriftsteller Christoph Geiser immer wieder erwacht.
Samuel Moser, Neue Zürcher Zeitung, 30. September 2008
Geiser hat in seinen Romanen gern abgerechnet, ohne sich selber zu schonen. Seine Literatur begann er als Feldzug gegen die Bürgerlichkeit. ... Mittlerweile ist Geiser fast sechzig geworden, die Utopien sind Vergangenheit, doch immer noch schaut er scharf in die Welt hinaus und in seine Bibliothek hinein und ist nicht sparsam mit seinen Kommentaren. ...
Im Mittelpunkt seiner Erregung steht der 11. September 2001. Wie er mit diesem Thema umgeht, mag stellenweise wie eine neubarocke Fantasterei anmuten. Doch diese "poetische Endlosschleife" ist weder exhibitionistisch noch zynisch, sondern der mutige Kraftakt eines hilflosen Einzelnen, der sich mit seinem Wissen und seiner Erfahrung dem unerhörten Ereignis stellt, um sich der totalen Resignation zu verweigern.
Paul L. Walser, WoZ, 2. Oktober 2008
Der Titel Wenn der Mann im Mond erwacht ankert in einer dunklen Innuit-Saga von der Deckungsgleichheit von Sonne und Mond und ist nach Die Baumeister und Über Wasser der dritte Teil einer "Trilogie des Scheiterns": Tragikomisch und letztlich lustvoll.
www.inforadio.de
Es ist unmöglich, sich dem Erzählen zu verweigern, selbst dann, wenn sämtliche Erzähltechniken ad absurdum geführt werden, findet noch Erzählen statt.
Und hier schließt die Legitimationskrise des Erzählers den Kreis zur Frage des Ereignisses: Denn was ist Geisers Erzählen anderes als ein Sich-Ereignen von Diskursen, so vehement und polemisch auch gegen dessen Regeln verstoßen werden soll? Und birgt sich darin nicht auch ein Erlösungsversprechen? Die Rettung aus der Bedeutungslosigkeit, die sich hinter der ereignislosen Diskurstotalität verbirgt, und somit die transzendente Überwindung der Welthaftigkeit per Dichtung?
Sarah Pogoda, literaturkritik.de, Nr. 10, Oktober 2008
Ohne festen Grund schwebt der Leser auf dem Klangteppich der Worte, wird hin und hergewirbelt, spürt die Lust des Autors an seiner Arbeit, die einzige Rechtfertigung dieses Buchs vielleicht. Er spürt die Ironie, den Witz, ein Lachen der Verzweiflung, lacht selbst und verzweifelt, wenn er sich im Text verliert, sich dann doch wieder fragt, was das Ganze überhaupt soll.
Detlef Grumbach
Zentral ist für diesen skeptischen Romantiker die Frage, wie nach dem Ende der Utopien die Suche nach dem Absoluten - in der Kunst, in der Liebe, in der Politik - überhaupt noch möglich ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.02.2009
Er hat der allgemeinen Auflösung nichts entgegenzusetzen. In einer raffinierten Volte macht er aus der Not eine Tugend – er vollzieht die Auflösung mit. Seine Sätze durchsetzt er mit Ausrufen und Fragen, fällt sich ins Wort, meldet sich aus wechselnden Positionen als Ich, als Wir, als Du. Zahllose Konversationsfloskeln begleiten seine Rede. Diese Bruchstücke aus einem verloren gegangenen Zusammenhang sind indes die heimlichen Nothelfer der Dekonstruktion.
Rudolf Bussmann, NZZ am Sonntag, 22. Februar 2009
Ein Blick ins literarische Archiv: Typoskript: Seite 174 a.) aus der der 2. Fassung von Wenn der Mann im Mond erwacht (Typoskript)
Schreibszenen
hrsg. von Michael Schläfli
Hamburg: Männerschwarm Verlag, 2009
Erhältlich im Buchhandel oder bei Männerschwarm
Ein junger Mann, der sich im Zug nicht auf seine Arbeit konzentrieren kann, weil die Fenster zu Spiegeln werden, ein Schüler, der im Zeichenunterricht eingeschüchtert wird, bis ihm alle Perspektiven verrutschen, ein alternder Autor, der mitten in der Arbeit eine frohe Botschaft erhält: Wo immer wir sie antreffen, lassen sich Geisers Figuren wunderbar über die Schulter direkt ins kreative Handwerk blicken. Ob sie entheimatet in einem Kellerloch in New York zusammen mit einer Katze hausen, einen writer’s block beim Verfassen einer pornographischen Auftragserzählung erleiden oder plötzlich von einem Ameisenschwarm heimgesucht werden – wir sind hier Zeugen von Momenten, in denen Leben und Schreiben in eins fallen und Texte entstehen.
In diesen Schreibszenen geschieht Bewegendes, Alltägliches und Kurioses, aber zugleich widerspiegeln sie eine engagierte Geisteshaltung und eine ausgereifte Kunstauffassung – das Fazit einer Schriftstellerexistenz. Geiser schreibt vor- und klarsichtig, indem er sich vom "Trümmerfeld der Bürgerlichkeit" zum Schreibtisch zurückzieht: Dort heben wir dank seiner sprachlichen Virtuosität mit ihm ab.
Zum 60. Geburtstag von Christoph Geiser hat Michael Schläfli unpublizierte Erzählungen mit bereits veröffentlichen Reden und Essays zusammengestellt, die einen ungewöhnlichen und unterhaltsamen Einblick in das Schaffen des Schweizer Autors erlauben.
Literatur dürfe unanständig sein und sie müsse Grenzen verletzen, lautet ein zentraler Bekenntnissatz dieser Sammlung. Auch die Grenzen zwischen den Künsten verschwimmen dabei, Malerei, Musik und Literatur bilden das Fundament einer radikal ästhetischen Weltsicht...
Sabine Doering, FAZ, 28. September 2009
Wie die die Angst vertreibende Kraft der Sprache sich zunehmend Geltung verschafft und an Eigenart gewinnt, das lässt sich aus der Reihenfolge der vorliegenden Texte ablesen. Geiser, ohnehin kein Autor behauptender Sätze, schreibt anfangs (sieht man von den frühen – wenigen! – Gedichten ab) beinahe stockend, zögerlich, bewusst Verzögerungen in die Satzabläufe einbauend. Mit der Zeit gewinnt die Sprache einen anderen, spezifischen Rhythmus, sie drängt vorwärts, zieht mit. Dafür häufen sich auffällig die Fragesätze, die Fragezeichen. Simple Gewissheiten, die gibt es bei Geiser nie und nirgends.
Charles Cornu, Der Bund, 7. September 2009
Ob Wiepersdorf oder New York City - es bleibt sich überall für Christoph Geiser gleich: Schreiben ist Leben. Und auch das Schreiben mit den neuen elektronischen Instrumenten stellt er dar als verflixt faszinierende Weltaneignung.
Tilman Krause, Die Welt, 12. September 2009
Geiser ist zwar kein Mann der allzu direkten, dafür der ungeheuerlich mächtigen Worte. Kaum ein anderer zeitgenössischer Schweizer vermag derart radikal und souverän, klangvoll und poetisch mit Sprache umzugehen wie Christoph Geiser. Für ihn ist das Schreiben Lebensnotwendigkeit, täglicher Kampf um Worte und Bewältigung der eigenen Geschichte in einem.
Axel Schock, Display, September 2009
Wer sich von den Wortverdrehungen in Geisers letztem Roman hat abschrecken lassen, sollte ihm noch eine Chance geben, das Buch zu Ehren seines 60. ist nicht nur lesbar, sondern wirklich toll. In der Sammlung von veröffentlichten und unveröffentlichten Szenen lässt Geiser wissen, wie, worüber und warum er schreibt. "Nur wenn ich schreibe, habe ich keine Angst." Es geht um Poesie und Politik – und um junge Männer. Immer wieder taucht das verbotene Begehren auf, in zarten Andeutungen, dann in pornografischen Bildern, und verschwindet verstohlen nach zwei Sätzen. Der aus Angst geborene Zwang zu schreiben und wohl auch die Sublimation haben ihn eine ungeheure Sprachmacht entwickeln lassen. Sie lassen ihn Sätze schreiben, die so schön sind und so gut gebaut, dass man sie laut singen will.
Stefan Mey, Männer, August 2009
Der Angler des Zufalls trägt Texte zusammen, die die Emanzipation des Autors von der Sprache und zugleich die Befreiung der Sprache vom Autor dokumentieren. Am Ende der Lektüre glaubt man begriffen zu haben, dass eine befreite Sprache nicht nur die Möglichkeiten erweitert, Fantasien mitzuteilen, sondern dass die befreite Sprache selbst Fantasie besitzt. Die Verselbständigung von Sprachspielen ist auch ein Produkt zügellosen Fantasierens der Sprache, nicht nur ein Produkt der zügellosen Fantasie des Autors.
Sarah Pogoda, literaturkritik.de, September 2009
Keine Melancholie, die nicht durch den jeder Schreibszene eigenen Humor wieder aufgehoben würde, kein Scheitern der Liebes- oder Lebensgeschichte, das nicht ein "Anfang" wäre für die Sprache. Wo die Autoren zum Ende kommen, setzt der Schriftsteller wieder einen Beginn.
Boris Gibhardt, Siegessäule, Januar 2010
Kein Familienroman
Zürich: Offizin Verlag, 2013
"Du musst dein Leben ändern!", sagt nicht nur der Philosoph, sondern auch der Hausarzt – wie plötzlich mit ausgestrecktem Zeigefinger aus der Tapetentür getreten. Nicht mehr rauchen, nicht mehr trinken – nicht mehr essen? Nichts mehr schreiben? Der namenlose Protagonist, Geisers Alter Ego, wird beim Tod der eigenen Mutter nun, da er jenseits der sechzig ist, mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontiert und sinniert bei seinen Streifzügen durch Berlin, Basel, im Park einer Schweizer Schlossklinik und in Paris über das menschliche Dasein und über die eigene Endlichkeit. Als Folge seiner Todespanik begibt er sich ins nahegelegene Fitness-Center, um sich dort gesund zu strampeln. Diese kommerzielle Wohlfühloase ist nur eine Station in seinem Bestreben, der Versehrung äusserlich und innerlich zu trotzen. Im Schattenreich der teuren Klinik gerät der Einsame inmitten der kränkelnden Insassen unversehens an die Ränder des menschlichen Daseins. Wohin gehen die Toten? Eine Reise nach Paris schliesslich führt ihn unter anderem in den Louvre zu einer ägyptischen Kalksteinfigur, die ihm eine andere Sicht des Jenseits offenbart.
Christoph Geiser setzt bei der grossbürgerlichen Familiengeschichte aus seinen beiden frühen Romanen "Grünsee" und "Brachland" ein. Ins Alter seiner Eltern gerückt, erzählt er nun von den heutigen Unorten, an denen sich mehr oder minder rüstige Senioren, mit verzweifeltem Optimismus und in Begleitung der Pharmaindustrie, der Vergänglichkeit zu entziehen versuchen. Das bestimmt den barocken und zugleich zeitkritischen Tenor dieses modernen Totentanzes.
Jetzt darf aber gewissermassen von einer kleinen literarischen Wiederauferstehung berichtet werden... Selbstironisch und von wachsender heiterer Verzweiflung angetrieben ist dieses Selbstporträt des Dichters als "rüstiger Jung-Senior".
Alexander Sury im Bund, 18. September 2013
So ist Schöne Bescherung das Zeugnis einer Selbstbehauptung in der hehren Kunst ebenso wie im schnöden Alltag. "Und wir gäben Ruhe endlich?" schliesst das Buch. Bewahre, jetzt wo wir so schön beim Lesen sind.
Beat Mazenauer in viceversaliteratur.ch
Und doch durchzieht eine tiefe Heiterkeit diesen Berlin-Roman, der seine vergnügliche Leichtigkeit vor allem den ständigen Sprüngen ins Fantastisch-Geisterhafte verdankt: dort werden die Probleme zwar nicht kleiner – aber luftiger.
Nicole Henneberg im Tagesspiegel
Vergänglichkeit, Tote im Traum, Begierde nach zu jungen Männern, Heimsuchung durch abgeschiedene Vorfahren: Dieses Gebiet formt die einzig durchgehende Achse im unkontrollierbaren Sprachfluss. Eine Konstante, die straucheln lässt.
Valentin Kimstedt in der TagesWoche
Es ist diese bunte, sich über viele Konventionen hinweg setzende und bisweilen den Leser vergessende Sprachgewalt, die diesen Roman herausragend macht.
Felix Münger, SRF Schweizer Radio und Fernsehen
Mordsachen
Birrwil: Die Lunte im Spiegelberg Verlag, 2016
Hier erhältlich
Er sei zufällig in der Nähe dreier Morde gewesen, schreibt er: Beängstigend dreht sich alles mäanderhaft in seinem Kopf, die Mörder, die Täter, die Opfer, die Polizisten, die Medien, und wie in einer Waschmaschine werden die Kontrahenten, die Einzelteile, die Details, die Waffen, die Schatten, die Bars durcheinander gewirbelt. Und er? Der Geiser? Kann er das in seinem Gehirn zusammen- oder auseinanderhalten?
Man zweifelt, als Zeuge für eine einzige Wahrheit ist er sehr suspekt. Irrlichternd schreibt und schreitet er durch die Versatzstücke hilarisch, wunderbar schräg, drei wahre Morde, leider ein dreimaliges Vergnügen. (Clemens Klopfenstein)
Befreit von der biederen Enge des Boulevardgeplänkels schwingt sich die Sprache zu einer luftigen Radikalität auf.
Lukas Linder im Literarischen Monat, Ausgabe 25, Juli 2016
Der Berner Schriftsteller Christoph Geiser legt in einem Kleinverlag drei Erzählungen vor, in denen er mit lustvollem Erschauern und in einem Zustand abschweifungsfreudiger Erregung Mordfälle wiederaufleben lässt, über Motive spekuliert – dabei auch sein eigenes Begehren reflektierend – und aus Recherchegründen mitunter ausgiebig boulevardeske Zeitungsprodukte konsultiert, nach deren Gebrauch er sich am liebsten die Hände waschen würde.
Alexander Sury im Bund, 19. August 2016
Diese spektakulären Geschichten sind so wenig erfunden wie das geheime Leben mancher Opfer und Täter. Und immer gilt: Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.
Christoph Klimke in der Rhein-Neckar-Zeitung, 27. Dezember 2016
Erzählungen
Berlin: Secession Verlag, 2019
Erhältlich im Buchhandel oder hier
Schweizer Literaturpreis 2020
Zur Mitteilung und zum Podcast des Bundesamts für Kultur
Der x-fach preisgekrönte 69-jährige Christoph Geiser ist ein Dichtkunst-Sonderfall: multifunktionaler Grenzgänger und dabei immer »Jetztmensch«, Erstwohnsitz Bern und doch merkbar Lebensmittelpunkt Berlin, spürsinniger Rechercheur, kämpferischer Zeitdiagnostiker beim allgemeinen wissen- und gewissenlosen Vergessen und Verdrängen, melancholischer Nostalgiker und sprachartistischer Spezialist für politische Ost-West-Weltbetrachtung und verwirrte Gefühlsempfindung, up-to-date bis zur jüngsten Tagesaktualität (Trump in Nordkorea), begnadeter Feuilletonist und Essayist, penibler Fakten-Realist und Fiktion-Phantast, philosophierender Logiker und ortskundiger Logistiker, tabubrechender Psychologe, eminent belesen mit Stilverwandtschaften zu Dürrenmatt und Robert Walser, beängstigend authentischer Augenzeuge als Undercover-Gerichtsreporter im Schweizer Hinterland, verspielt witzig grübelnder Etymologe mit Unterscheidungsvermögen zwischen »lebenslang« und »lebenslänglich«, virtuoser Reflexions-Stilist mit Vorliebe für Kleist'sche Satzungeheuer, setzt sich als Schwuler fröhlich von "Klemmschwestern" ab, überlebt aber eigentlich nur als glühend schönheitstrunkener Museums-Freak zwischen dem Darmstädter Landesmuseum, der Berliner Nationalgalerie, wo er, ungeniert vorbei an allen zurückhaltenderen Kunsthistorikern, die er übrigens beim Namen nennt, Menzel als Knaben-Liebhaber outet, und dem Promi-Friedhof von San Michele. Kurz und gut: Dieser sonderliche Autor nimmt seine Leser zum unweigerlich direktesten Nachfühlen überallhin mit …
Haben wir alles über diese wundersam-wunderbaren Texte gesagt? Entdecken Sie mehr, entdecken sie Christoph Geiser wieder!
Christoph Geiser spricht über sein Buch Verfehlte Orte in der Sendung 52 beste Bücher auf SRF 2.
Es ist ein dichter und zuweilen verstörender Text, der diese in ein schreckliches Verbrechen mündende "Knabenliebe" eines Pädophilen mit eigenen homosexuellen Fantasien parallelisiert. Geiser geht es indes nicht um Einfühlung, sondern um das absolute Tabu "Pädophilie" in unserer Gesellschaft - ein Tabu, das für Geiser auch dazu führe, dass sich Gewalt stauen und in solchen Verbrechen entladen könne.
Alexander Sury im Bund vom 4. Mai 2019
Eine Gratwanderung, gewiss. Doch ich finde: ja! Die Literatur und ihre AutorInnen dürfen so etwas. Doch nur, wenn sie es so gut, so ehrlich und genau wie Christoph Geiser tun. So, dass klar wird, worum es hier wirklich geht, um welche überaus verstörende "andere" Wahrheit ...
Sabine Haupt bei literaturkritik.de, 25. Mai 2019
Gegenwärtigkeit und das, was ohne diese nicht zu haben ist: Glück, wird so zum raren Geschenk.
Dominik Müller in viceversa.literatur.ch, 10. Juni 2019
Jetzt bin ich eher wieder zu den Dingen zurückgekehrt, zur genaueren Betrachtung im Einzelnen. Und damit vielleicht auch wieder zur genaueren Betrachtung der bürgerlichen Lebenslüge, die in ihrer Extremform zum Mord führt – der letzte verfehlte Ort meiner neuen Erzählungen.
Christoph Geiser im Kurzinterview mit Joachim Bartholomae auf sissy, 24.6.2019
So bleibt am Ende beim Leser das Gefühl, dass hier einer von sich, seiner komplizierten Vergangenheit und seinen existentiellen Nöten erzählen, gleichzeitig aber auch spielen und sich hinreißen lassen will von der Sprache und den vielen unscheinbaren Verwicklungen der Welt.
Marcus Klugmann in Fixpoetry, 21. Mai 2019
Eine Stimmung kommt in Geisers Erzählung "Step by step" auf, wie sie Franz Kafka in seiner Prosa generiert hat. Denn im Land der ehemaligen Untertanen wird ein Prozess geführt.
Paul Ignaz Vogel, 21. Mai 2019
Es sind Texte, die davon erzählen, dass die Literatur noch Widerstände bieten kann, die nicht nur lesens-, sondern auch denkenswert sind.
Simon Morgenthaler in der ProgrammZeitung, Ausgabe April 2019
Geboren am 3.8.1949 in Basel; Matura am Humanistischen Gymnasium; abgebrochenes Soziologie-Studium; journalistische Tätigkeit. Seit 1978 freiberuflicher Schriftsteller. Lebt in Bern und Berlin.
Herbst 1974 Vietnamreise; 1980 als German-Writer-in-Residence am Oberlin College, Ohio/USA; 1982 anlässlich der Writers’ Week in Adelaide Lesereise durch Australien; 1983/84 mit einem DAAD-Stipendium Gast des Berliner Künstlerprogramms in Berlin; 1990 als Stipendiat der Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr in London; 1991/92 mit einem Stipendium des Kantons Bern Resident an der Cité Internationale des Arts in Paris; 1999 mit einem Stipendium der Stadt Bern sechs Monate in New York; 2000 während sechs Monaten Stadtschreiber in Dresden; 2004 drei Monate Gast im Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf.
Werkbeiträge der Schweizer Kulturstiftung PRO HELVETIA; diverse Buchpreise von Stadt und Kanton Bern sowie der Schweizerischen Schillerstiftung; 1983 Kunstpreis des Lions Club Basel; 1984 Basler Literaturpreis; 1992 Literaturpreis der Stadt Bern für das Gesamtwerk; 2012 Weiterschreiben-Stipendium der Stadt Bern; 2018 Grosser Literaturpreis von Stadt und Kanton Bern; 2020 Schweizer Literaturpreis für den Erzählband Verfehlte Orte.
Mitglied des Verbandes Autorinnen und Autoren der Schweiz (ADS), des Berner Schriftstellervereins, des Deutschschweizer PEN-Zentrums sowie korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt.
Das Archiv Christoph Geiser ist 1991 durch Schenkung an das Schweizerische Literaturarchiv (SLA) gelangt. Manuskripte, Typoskripte, umfangreiche Notizen und Entwürfe, Pressedokumentationen und Korrespondenz dokumentieren ausgezeichnet das schriftstellerische Schaffen sowie das kulturpolitische Engagement Christoph Geisers.
Das Inventar des Archivs ist hier einsehbar.
Dass der Anfang eines Textes nicht die Stelle sein muss, an der das Schreiben einst angefangen hat, bestätigen schon flüchtige Einblicke in die Archive der modernen Literatur. Und umgekehrt beginnt das konkrete Schreiben selbst meistens viele Male, im gleichen Text oder in einem jeweils neuen. Dieses Spannungsverhältnis von Textanfang und Schreibenanfangen untersucht der von Hubert Thüring, Corinna Jäger-Trees und Michael Schläfli herausgegebene Sammelband in den Archiven von Autoren des 20. Jahrhunderts, u.a. Hermann Burger, Elias Canetti, Friedrich Dürrenmatt, Christoph Geiser, Friedrich Glauser, Hermann Hesse, Robert Walser, Otto F. Walter. Der Sammelband resultierte aus dem Projekt Textgenese und Schreibprozess des Schweizerischen Nationalfonds.
Hubert Thüring, Corinna Jäger-Trees, Michael Schläfli, Hrsg.: Anfangen zu schreiben. Ein kardinales Moment von Textgenese und Schreibprozess im literarischen Archiv des 20. Jahrhunderts, 2009, 345 S., ISBN: 978-3-7705-4733-3.
Hier finden Sie eine Auswahlbibliographie der Forschungsliteratur zu Christoph Geiser.
"Das falsche Inseli - Ein Abschied". Vortrag an der Jahrestagung der Robert-Walser-Gesellschaft, Thun 2005.
"Berner Rede". Dankesrede anlässlich der Verleihung des Grossen Literaturpreises von Stadt und Kanton Bern 2018.
Christoph Geisers Rede und Moritz Wagners Laudatio "Über jeden Rand hinaus" sind publiziert in: Die Horen 274 (2019).
"Im Hasenbühl". Literarischer Monat 40 (März 2020) - Schwerpunkt "Schweizer Literaturpreise 2020".
Salzgeber (neu)
ZVAB (antiquarisch)
Abebooks (antiquarisch)
Autorinnen und Autoren der Schweiz
Literaturport, ein gemeinsames Vorhaben des Brandenburgischen Literaturbüros und des Literarischen Colloquiums Berlin
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Konzept: Michael Schläfli, Bern
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Aktualisiert am 29. 10. 2024